Die Lehren aus Spanien

Unter dem Deckmantel eines durchschaubaren Ablenkungsversuchs der „Friedensbündnis“-Propaganda betritt die Volksfront1 in England allmählich die politische Bühne. Die Liberalen spitzen dabei aufmerksam ihre Ohren, die Arbeiterpartei (Labour Party) richtet sich energisch gegen das Projekt und die Kommunistische Partei, die der Initiator dieser Agitation ist, bringt alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen auf, um die Volksfront zum Leben zu erwecken. Es wird jetzt unbedingt notwendig für die englischen Arbeiter, ihre Schlüsse aus den Geschehnissen in Spanien zu ziehen, und die Politik der Volksfront, so wie sie sich in der Situation des Bürgerkrieges zeigt, einer genauen Untersuchung zu unterziehen, um sich den kommenden Problemen stellen zu können

In einer Reihe von Artikeln und Broschüren über die spanische Situation zeigte Leo Trotzki konsequent den Weg auf, den die spanischen Massen gehen müssten, um den Faschismus zu besiegen und rief die revolutionäre Arbeiterpartei, den einzigen Wegweißer auf diesem Weg eindringlich dazu auf, sich an die Spitze der erwachenden spanischen Massen zu stellen. Trotzki beendete seine 1931 geschriebene Broschüre „Die spanische Revolution“ mit den folgenden Worten: „Zur siegreichen Lösung all dieser Aufgaben sind drei Voraussetzungen erforderlich: eine Partei, nochmals eine Partei und immer wieder eine Partei.“

Die Bedingungen für einen Sieg der Arbeiter über die Reaktion sind also, kurz zusammengefasst, noch immer nicht erfüllt: das ist die Lehre, die ins Bewusstsein der Arbeiterklasse in England und Spanien gebracht werden muss.

Während also die spanischen Faschisten sich mit Hilfe aus dem Ausland offen darauf vorbereiteten zuzuschlagen, verabsäumte es die Volksfrontregierung offensichtlich, selbst Vorbereitungen zu treffen, welche den Gegner schnell und einfach zerstört hätten. Die Armee wurde kampflos in den Händen der Reaktion belassen. Unter den Augen der Volksfrontregierung konsolidierte diese eine starke Basis unter den Mauren2 , welche die Fesseln der neuen Regierung nicht weniger schwer spürten, als zuvor die der Monarchie. So wurden sie leichte Beute für Francos trügerische Versprechen. Auf der anderen Seite wurden die Arbeiter von ihren reformistischen Führern daran gehindert, Maßnahmen zu ergreifen, die die Pläne der Faschisten durchkreuzt hätten – die Errichtung von Arbeitermilizen und Betriebskomitees. Als Arbeiter und Bauern trotz des Flehens ihrer Führer, die Reaktion nicht zu „provozieren“ und die republikanisch-kapitalistischen Partner in der Volksfront nicht zu „verärgern“, streikten und Land besetzten, reagierte die Regierung mit der Verhaftung von Streikenden, Auflösung von Arbeiterversammlungen, Zensur von Arbeiterzeitungen und dem Niederschießen von Bauern. Das ist die Geschichte der Machtausübung der Volksfront in den Monaten vor dem Beginn des Bürgerkrieges, die in offiziellen Erklärungen und Artikeln in der Presse festgehalten ist.

Auf diese Art und Weise knebelte und fesselte die Volksfront die Massen in den Monaten vor Francos Aufstand. Viele wurden gar in das gegnerische Lager getrieben und schlossen sich den Mauren an, um gegen die „demokratische“ Regierung zu kämpfen, die das Elend und die Unterdrückung zementierte.

Weder die Volksfront noch eine andere kapitalistische Regierung hätte die grundlegenden Probleme des modernen Spaniens lösen können. Fünf Millionen Bauernfamilien ohne ausreichend Land, 3 Millionen davon gar komplett ohne Land, wurden durch Steuern ausgepresst und hungerten. Nur die Enteignung der Großgrundbesitzer und die Neuaufteilung des Landes auf die armen Bauern hätte deren Hungersnot beenden können. Aber unter kapitalistischen Bedingungen war diese Lösung unmöglich, das gesamte spanische Bankenwesen stützt sich auf Hypotheken auf das Ackerland. Der Ruin der Großgrundbesitzer hätte den Untergang der Kapitalisten und Bankiers bedeutet. Nur ein spanischer „Oktober“3, der sowohl den Kapitalisten als auch der landbesitzenden Klasse den Todesstoß versetzt, könnte den hungernden und sterbenden Massen auf dem Land Abhilfe verschaffen.

Auch die Situation der Arbeiter in den Städten zeigte sich als ein Problem, das innerhalb der kapitalistischen Grenzen keine Lösung kannte. Der sich spät entwickelnden spanischen Industrie war es unmöglich, mit der weit entwickelten ausländischen Industrie mitzuhalten, welche selbst einen neidisch bewachten Markt mit billigen Gütern überschütten konnte. Aufgrund der verarmten Bauernschaft war es ihr nicht einmal möglich, einen Binnenmarkt zu finden. Schon Marx und Lenin lehrten, dass es für die Arbeiter keinen Weg aus ihrem Gefängnis der geringen Löhne und wachsender Arbeitslosigkeit gibt, außer durch die Zerschlagung der kapitalistischen Schranken und der Übernahme der Betriebe durch die Arbeiterklasse selbst.

In den ersten Monaten des Bürgerkrieges gingen die Arbeiter Spaniens spontan diesen Weg als einen essentiellen Teil ihres Kampfes gegen die Reaktion, denn durch militärische Methoden alleine konnte Franco nicht besiegt werden. Notwendige Maßnahmen dafür, den Massen etwas zu geben, um das es sich zu kämpfen lohnte, wurden ergriffen: in Fabriken, Dörfern und Betrieben wurden Räte gegründet und Arbeitertribunale errichtet; eine Arbeiterpolizei und -miliz etabliert. Die Anfänge eines Arbeiterstaates begannen den revolutionären Krieg gegen den Faschismus und forderten somit die Autorität der Volksfront heraus, entrissen ihr ihre Funktionen.

Die kapitalistische Regierung drohte dadurch zusammenzubrechen. Doch die Kommunistischen und Sozialistischen Parteien eilten ihr zur Hilfe. Sie wurden Teil der Volksfrontregierung und Caballero4, gefeiert als „der spanische Lenin“, wurde Ministerpräsident. Im Namen der „Verteidigung der Demokratie“ wurden die Errungenschaften der Arbeiter Stück für Stück zurückgenommen. Die Arbeitermiliz wurde in eine republikanische Armee aufgelöst, die Arbeitergerichte wurden eliminiert und die Arbeiterpolizei ebenfalls aufgelöst.

Derselbe Prozess spielte sich in Katalonien ab, wo die POUM Teil der Regierungskoalition wurde und diese zur Arbeiterregierung erklärte. Aber die POUM erklärte auch, dass dieser Bürgerkrieg in Wahrheit eine Frage von Sozialismus oder Kapitalismus sei - eine Wahrheit, die die Grundlagen der Volksfront selbst untergräbt. Republikaner und Stalinisten verbündeten sich in einer niederträchtigen Kampagne gegen die POUM, in welcher sie ihr vorwarfen, von Franco finanziert zu sein. Sie drängten die POUM aus der Regierung und verboten deren Propaganda und Zeitungen; die Führung wurde verhaftet und eingesperrt.

Anfang Mai 1937 begann die Regierung ihren provozierenden Angriff auf die Arbeiter, um die Fabriken und Häuser, welche unter Arbeiterkontrolle standen, wieder unter ihre Gewalt zu bringen. Der Widerstand der Arbeiter wurde gebrochen und die wirtschaftliche, politische und militärische Macht lag wieder ganz in den Händen der Bourgeoisie.

Heute stehen die spanischen Massen vor der Entscheidung zwischen dem Sieg Francos, was den Beginn eines totalitären Regimes bedeuten würde, oder dem jetzt problematischen Sieg eines „demokratisch“- kapitalistischen Regimes, welches seine Herrschaft in einem erschöpften und verwüsteten Spanien nur durch eine schlecht verhüllte Diktatur erhalten könnte. In beiden Fällen werden die Ketten an den Gliedern der erschöpften und verratenen Arbeiter, Bauern und der Menschen in den Kolonien fester angelegt werden.

Von Anfang an distanzierte sich die Volksfront in ihrem Programm nicht nur von sozialistischen, sondern sogar von nur halb-sozialistischen Maßnahmen. Offenkundig war sie die Beschützerin des kapitalistischen Eigentums. Sie wedelte vor den Augen der Menschen mit großen Plänen für zukünftige Reformen herum, nur um sie von den gegenwärtigen Leiden abzulenken. Die geplante Volksfront in England ist aus demselben Holz geschnitzt. „Jede Idee eines wirklichen Sozialismus müsste für den Moment beiseitegelegt werden“, verkündet Sir Standford Cribbs5 im Tribune (14. April, 1938) und argumentiert für eine Regierung der „demokratische Front“. Der „Daily Worker“ [damals die Zeitung der KPGB, Anm. d. Ü.] unterstützt den liberalen Kandidaten in einer Nachwahl gegen den Labour-Kandidaten und spottet über Labours „erstaunliche `Entdeckung´, dass Liberale keine Sozialisten sind, als ob Liberale das jemals behauptet hätten.“ (11. Mai, 1938).

Sowohl für England als auch für Spanien gilt, dass der Kampf gegen den Faschismus ein Kampf für den Sozialismus ist. Aufrüstungspläne, Nahrungsrationierungen, Panikmache vor Spionen und Vorsichtsmaßnahmen für Luftangriffe dienen dazu, den Arbeitern klar zu machen, dass die Periode des „Friedens“ sich rasch ihrem Ende zuneigt. Die Rezession der Amerikanischen Industrie breitet sich in England aus; der Rückgang der Neuemissionen von Aktien und Anleihen in den ersten drei Monaten des Jahres 1936 im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum im Vorjahr von 49.505.000 auf 33.000.000 lässt die Dimension des kommenden Konjunkturrückganges in der Industrie erahnen. Die erhöhte Beschäftigung in der Rüstungsindustrie und die erhöhte Rekrutierung für den Dienst in der Armee kaschiert derzeit das eigentliche Wachstum der Arbeitslosigkeit in der Industrie. In den allgemeinen Statistiken des Handels und der Industrie lässt sich, aufgrund des künstlichen Antriebs durch die Kriegsvorbereitungen, diese Verlagerung des nationalen wirtschaftlichen Schwerpunktes nicht erkennen und der wahre Prozess des wirtschaftlichen Zusammenbruches wird verborgen. Diese Krankheit nagt an den Organen des Kapitalismus und zeigt seine Symptome in der fieberhaften Geschäftigkeit bestimmter industrieller Branchen. Begleitet wird diese von der falschen Wahrnehmung allgemeinen Wohlergehens. Dies muss erkannt werden als “Vorkriegswohlstand”, als ein Delirium vor der Krise.

Solange der Boom der Vorkriegszeit anhält und die Britischen Massen verhältnismäßig passiv bleiben, werden die Bürokraten des rechten Flügels der Gewerkschaften und der Labour Party ihre Haltung gegen die Volksfront bekräftigen. Wenn aber die Massen anfangen sich zu bewegen, so wie sie es in Spanien und Frankreich getan haben und sich in Richtung einer kämpferischen, sozialistischen Lösung ihrer Probleme bewegen, wird die Labour-Bürokratie keine Skrupel davor haben, es ihrem Gegenstück in Spanien und Frankreich gleich zu tun. Sie werden der Massenbewegung die Zügel anlegen und sie in die sicheren Bahnen der Volksfront lenken. Wenn sie sich heute gegen die Volksfront sträuben, dann nicht deshalb, weil sie der offene, heimtückische Bruch mit jedem Bezug zum Sozialismus ist. Sie sträuben sich, weil sie mit ihrer eigenen Rolle im kapitalistischen System mehr als zufrieden sind. Sie fürchten sich davor, die Regierungsmacht zu übernehmen, weil dies unausweichlich ihre eigene Entlarvung bedeuten würde. Heute beschimpfen sie die Liberalen als nicht-Sozialisten, morgen werden sie sie verteidigen und rechtfertigen und mit ihnen Hand in Hand in der „Streikbrecher-Verschwörung“ der Volksfront arbeiten, sowie es ihre reformistischen Brüder in der Kommunistischen Partei jetzt schon tun.

Die Kommunistische Partei Großbritanniens bettelt um die Volksfront und unterstützt die Liberalen auf der Basis der Forderungen nach „Waffen für Spanien“, „Verteidigung der demokratischen Freiheiten“, „wirtschaftliche und soziale Verbesserungen für die Menschen“. Die in Frankreich an der Macht befindliche Volksfront stellte Spanien keine Waffen zur Verfügung; die Sklaven aus den französischen Kolonien Nordafrikas und Indochina erhielten als ihren Anteil der „demokratischen Freiheiten“ – Kugeln und Gefängnisstrafen. Die französische Volksfrontregierung6 nagte an den Zugeständnissen, die der herrschenden Klasse durch Streikaktionen der französischen Arbeiterklasse direkt abgerungen werden konnten. Sie machten die Lohnerhöhungen durch Währungsmanipulation zunichte. Die liberalen und „progressiven“ Kapitalisten bieten hochtrabende Pläne für Reformen, statt tatsächlichen Reformen.

Die jüngsten Werke der Führer der Kommunistischen Partei beweisen, dass sie sich der verräterischen Rolle der Liberalen wohl bewusst sind. Heute gelingt es ihnen, den Ruf als Klassenkämpfer zu nutzen, welcher von den Parteimitgliedern in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen erarbeitet wurde, um kämpferische Arbeiter den politischen Pfad herunterzuführen, der von den Geldgebern im Kreml ausgearbeitet wird. Stalin und dessen Gefolge sind bereit, die sozialistischen Bestrebungen der britischen Arbeiterklasse zu opfern, um gemeinsam mit der britischen Bourgeoisie ein Bündnis für den Krieg einzugehen. Deswegen haben sie eine Volksfront angeordnet. Die Führung der Kommunistischen Partei ist bereit zu gehorchen; schamlos und ohne Umschweife handelt sie genau entgegengesetzt ihrer eigenen Politik von vor einigen Monaten. Die Arbeiter werden bewusst dazu verführt, einer Koalitionsregierung mit dem Klassenfeind zuzustimmen. Dem Arbeiter wird eine Augenbinde angelegt, während die Liberalen schon ihre Messer wetzen, um ihnen in den Rücken zu fallen.

Die Kommunistische Partei argumentiert ihre verräterische Politik mit Schreien nach „Einheit! Einheit!“. Aber die englische Arbeiterklasse macht zwei Drittel der gesamten Bevölkerung aus, und könnte mit einem vorwärtstreibenden Programm, mit mutigen sozialistischen Forderungen auch einen Großteil der verarmten Teile des Kleinbürgertums mobilisieren. Die Arbeiter brauchen keine gemeinsame Allianz mit irgendeinem Teil des Klassenfeindes, und am aller Wenigsten mit den heruntergekommenen, lange schon politisch bankrotten Liberalen. Sie wissen instinktiv, dass Einheit die stärkste Waffe für ihren Kampf ist – die Einheit der Arbeiterklasse. Die Volksfront ist nur eine Karikatur davon. Die brennende Notwendigkeit des heutigen Tages ist die der tatsächlichen Einheit der Klasse auf Basis eines Programmes des gemeinsamen Kampfes, welches die Arbeiter, ihre Organisationen und Parteien miteinander verknüpft. Das ist der einzige Weg, um die gewonnenen Rechte und Privilegien zu verteidigen, die über Generation hinweg in aufopferungsvollen Kämpfen errungen wurden. Die siegreiche Verteidigung der schon bekommenen Zugeständnisse muss unausweichlich zu einem Kampf für vollständige Arbeiterrechte werden, zu einem Kampf für Arbeitermacht.

Die Erfahrung in Spanien ist eine Warnung und eine Lehre für Arbeiter auf der ganzen Welt, insbesondere für die englischen Arbeiter. Die Tragödie, die gestern noch in Spanien gespielt wurde, wird heute schon in Großbritannien geprobt. Und sollten die britischen Arbeiter den Auftrag nicht erkennen, den die Geschichte ihnen gegeben hat, wird es morgen auch aufgeführt werden. Um diese Aufgaben in Angriff nehmen zu können, braucht die Arbeiterklasse vor allen Dingen „eine Partei, nochmals eine Partei und immer wieder eine Partei.“

Anmerkungen:

Volksfront wurde die Zusammenarbeit zwischen Arbeiterparteien und sogenannten liberalen oder radikalen bürgerlichen Parteien genannt. Die Kommunistische Internationale übernahm die Politik der Volksfront 1935, nach der Tragödie, die Hitlers Machtergreifung darstellte.

Die arabische Bevölkerung von Nordwest-Afrika. Sie kämpften jahrelang in Marokko für Autonomie von der spanischen Herrschaft. Während die Volksfrontregierung untätig blieb, versprach Franco ihnen die Unabhängigkeit.

Die russische Revolution fand nach dem alten Russischen Kalender im Oktober 1917 statt.

Largo Callabero, Führer einer Linken Strömung in der Spanischen Sozialistischen Partei in den 1930ern. Ministerpräsident von September 1936 bis Mai 1937.

Stafford Cripps, Abgeordneter der Labour-Partei ab 1931, für einige Zeit im Jahr 1939 aus der Partei ausgeschlossen als ein Unterstützer der Volksfront-Agitation. Als Schatzkanzler (Chancellor of the Exchequer) 1947-50 leitete er ein wirtschaftliches Einsparungsprogramm ein. Tribune war die Zeitschrift der linken Reformisten in der Partei, welche Cripps 1937 mitbegründete.

Das Bündnis der Französisches Kommunistischen Partei (PCF), der Sozialisten (SFIO) und der bürgerlichen sogenannten „Republikanischen, Radikalen und Radikal-sozialistischen Partei“ gewannen im Mai 1936 die Parlamentswahlen. Daraufhin entstand eine Regierung unter dem SFIO-Vorsitzenden Léon Blum. Léon Blums Regierung hielt von Juni 1936 bis Juni 1938 und zerfiel schlussendlich aufgrund des Druckes des bürgerlichen, rechten Flügels innerhalb des Bündnisses.