Massenproteste in Hongkong

Am 16. Juni, nur eine Woche nach dem letzten Millionenprotest in Hongkong, kam es zu einem zweiten Massenprotest. Laut den führenden Organisatoren der zivilen Bürgerrechtsfront haben sich bis zu zwei Millionen dem Protest angeschlossen.

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Bilder und Zahlen sprechen dafür, dass diese Demonstration größer ist als der des vorhergegangenen Sonntags. Die Demonstration fand trotz der Aussetzung des Auslieferungsgesetzes durch Regierungschefin Carrie Lam am Vortag und einer Entschuldigung statt, die sie am Sonntagabend an die Hongkonger richtete. Die Ursache dieser Massendemonstrationen ist der Gesetzesentwurf von 2019 über flüchtige Straftäter und gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, auch bekannt als Auslieferungsgesetz. Dieses Gesetz erlaubt es jedem, der verdächtigt wird, ein „Verbrecher“ zu sein, an das chinesische Festland ausgeliefert zu werden. Obwohl dies technisch gesehen keine politischen Dissidenten umfassen wird, ist es klar, dass China einen Weg finden wird, diese auszuliefern.

Vielleicht wuchsen die ohnehin schon großen Proteste durch den Tod eines Demonstranten am 15. Juni. In dieser Nacht kletterte ein Demonstrant auf ein Baugerüst, um ein Transparent aufzuhängen, das den Rücktritt der Regierungschefin und die endgültige Streichung des Auslieferungsgesetzes forderte. Als die Behörden versuchten, ihn vom Gerüst zu entfernen, fiel er in den Tod.

Obwohl bereits ein Protest angesetzt war, machte der Tod des Demonstranten den Protest am Sonntag zu einer Massenmahnwache. Zehntausende schwarz gekleidete Menschen strömten auf die Straßen.

Die Stimmung der Massen ist kämpferisch und auf einem höheren Niveau als während der Regenschirm-Bewegung von 2014. Die Klassenkampfmethode eines Generalstreiks ist weiterhin sehr beliebt in den Reihen der Teilnehmer, um die Angriffe der Regierung zu bekämpfen. Die reaktionären, rechtsextremen Gruppen, die sich auf Festland-Hass und antikommunistische Gefühle stützten, waren dieses Mal nicht in der Lage, in die Bewegung einzugreifen, wie dies 2014 der Fall war. Die Massen haben diesmal eindeutig mehr Interesse am Klassenkampf als an Fremdenfeindlichkeit, um ihre Probleme zu lösen.

Leider haben die Massen zu diesem Zeitpunkt nicht die Führung, die sie verdienen. Die aktuell führenden Organisationen spielen dabei eine Rolle, die Energie der Bewegung durch falsche Politik zu zerstreuen.

Obwohl die Forderung nach einem Generalstreik bis heute weit verbreitet ist, hat die Führung keine ernsthaften Anstrengungen unternommen, einen zu organisieren. Zum Beispiel ist die Bürgerrechtsfront, obwohl sie angeblicher Organisator der gesamten Bewegung ist, eindeutig nicht in der Lage, den Massenprotest anzuführen. Vor der Demonstration am Sonntag forderte die Bürgerrechtsfront einen Stopp der „Drei Streiks“ (Arbeitsstreik, Schulstreik, Marktstreik), nach denen sich viele in der Basis offensichtlich gesehnt haben. Gegen 23 Uhr abends nahmen sie dann den Aufruf zum Start der Drei Streiks am nächsten Tag wieder auf. Sie lieferten nur eine Grafik, die zeigte, dass es nur einen Streik für Sozialarbeiter, einen Schulausflug und einen Protest, der vom Hongkonger Gewerkschaftsbund (HKCTU) organisiert wurde, geben würde.

Internationale Solidarität

Zur gleichen Zeit versammelten sich über zehntausend taiwanesische Jugendliche, ebenfalls in Schwarz gekleidet, um Hongkong zu unterstützen. Am 14. Juni kamen spontan 500 Studenten nach einem Aufruf zur Solidarität mit Hongkong zusammen. Die militante Taoyuan Flight Attendant Union, die derzeit einen erheblichen Streik von EVA Air Arbeitern anführt, hat auch eine Solidaritäts-Petition herausgegeben, die von 46 Gewerkschaften und Organisationen sowie Einzelpersonen unterzeichnet wurde. In der Petition wurde nicht nur die Solidarität mit den Massen in Hongkong bekundet, sondern auch die taiwanesische und die Hongkonger Regierung dafür kritisiert, dass sie die Fähigkeit der Arbeiterklasse zur Selbstverteidigung schwächt, indem sie politische Streiks nicht erlaubt.

Hochschulstudenten in Südkorea haben am 14. Juni eine Petition an Präsident Moon Jae-in gerichtet, um die Bewegung in Hongkong zu unterstützen, die inzwischen mehr als 20.000 Unterschriften erreichen konnte. Die südkoreanische Union der Jugendgemeinschaft hat eine Erklärung zur Unterstützung der Bewegung abgegeben.

Es ist schwer einzuschätzen, wie die chinesische Arbeiterklasse des Festlandes und die Jugend auf dieses Ereignis reagiert haben, da China erwartungsgemäß jede Berichterstattung über die Proteste in Hongkong blockiert hat. Angesichts der Präsenz von Festlandbewohnern innerhalb der Bewegung in Hongkong und der gelegentlichen Unterstützung dieser ist es jedoch wahrscheinlich, dass sehr viele die Ereignisse genau verfolgen.

Alle radikalen Bewegungen müssen sich ständig weiterentwickeln, sonst schwächen sie sich wieder ab und die Regierung wird wieder gestärkt. Bei dieser ist es nicht anders. Die letzte Demonstration verleiht ihr Dynamik auf einem höheren Niveau als je zuvor. Neben dem Auslieferungsgesetz hat Hongkong viele Probleme. Es ist dort noch teurer als für die Arbeiterklasse in London, New York oder Tokio. Arbeiter leben unter sehr schlechten Bedingungen.

Die Verfassung bietet außerdem keinen Raum für Repräsentanten der Arbeiterklasse und es gibt keine echten demokratischen Wahlen. Daher muss die Bewegung in Zukunft die Forderungen nach sozialem Wohnungsbau, Enteignung des Eigentums und des Vermögens der Milliardäre sowie die Bildung einer völlig neuen demokratischen Verfassung, die durch gewählte Vertreter dieser Bewegung und der Gewerkschaften repräsentiert wird. Dies ist eine historische Chance. Die Bewegung muss sie nur ergreifen.