Schutzlos in der Pandemie – Ein Bericht aus Hamburg

Schon vor dem Ausbruch der Coronapandemie und Beginn der um sich greifenden Wirtschaftskrise war die Wohnungs- und Obdachlosigkeit in deutschen Städten unübersehbar.


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Eine amtliche Statistik darüber gibt es in diesem ach so hoch entwickelten Land nicht. Doch Schätzungen gehen davon aus, dass bundesweit rund 1,2 Millionen Menschen keine eigene Wohnung haben und die Zahl weiter steigt. Sie leben buchstäblich auf der Straße, kommen in Notquartieren unter oder schlafen bei Verwandten und Bekanten auf dem Sofa.

Die Ausgangsposition für wohnungs- und obdachlosen Menschen stand also bereits vor der derzeitigen Pan­demie in keinem guten Licht. Doch nun schnürt das von dem Virus teilweise zum Stillstand gezwungene kapitalisti­sche System die Fesseln für die marginalisierte Minderheit auf Hamburgs Straßen noch enger. Bis in die jüngste Vergangenheit bot die Stadt zur Symptombehandlung von Obdachlosigkeit den auf der Straße lebenden Menschen noch ein breites soziales Hilfesystem mit Essensausgabestellen, Beratungsstellen und öffentlich-rechtlicher Unterbringung. Doch nun bedeuten die Auswirkungen des Corona-Virus samt bundesweiter Kontaktsperre für Obdachlose- und Wohnungslose, Geflüchtete und Illegalisierte vor allem eins: soziale Isolation und fehlenden Infektionsschutz.

Nachdem sich mehrere Be­wohnern*innen nachweislich infiziert hatten, sieht sich die größte Hamburger Sammelunterkunft in Hammerbrook dazu gezwungen, bis auf weiteres eine gesamte Etage unter Quarantäne zu stellen sowie auf Neuannahmen zu verzichten. Das heißt für alle anderen Menschen im Vorort stetige Angstzustände wegen möglicher eigener Infizierung.

Ausweich­möglichkeit zu schlafen bietet in dem Falle nur die ebenfalls von dem städtischen Sozialunternehmen „fördern&wohnen“ geführte Sam­melunterkunft in der Kollaustraße. Doch als Vorsichtsmaßnahme müssen alle Gäste dort ein Aus­weisdokument der zuständigen Behörde vorlegen. Somit entfällt das Recht auf eine anonymisierte Unterbrin­gung. Kommt es in den Sammelunterkünften zu weiteren Corona-Fällen, so bedeutet das für hun­derte Menschen ein Ausgangsverbot. Sie stünden in Mehrbettzimmern unter Quarantäne und jegliche Ansprüche auf Privat- und Intimsphäre würden sich in Luft auflösen. Noch schwerwiegender ist bei dieser möglichen Situation die Problematik eines verantwortungsvollen und richtigen Umgangs mit einer Vielzahl von suchtkranken Personen auf einem kleinen Fleck in ohnehin schon sehr beengten Räumlichkeiten.

Mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen Unterbringungen zeigt sich ein ähnlich drastisches Bild: Wei­testgehend haben sich hier fast alle Leitungen dazu entschieden, keine neuen Hilfsbedürftigen aufzunehmen, um eine Ausbreitung in den eigenen Häusern zu vermeiden. Da die Corona-Tests in erster Linie der Oberschicht vorbehalten sind, können die unter Not stehenden Menschen keinen Nachweis erbringen, dass sie nicht infiziert sind.

Dass die Kontaktaufnahme mit Beratungs- und Fachstellen und darüber hinaus mit Jobcentern und Bezirksämtern aufgrund der Pamdemie ausschließlich telefonisch stattfinden kann, trifft die auf besondere Hilfe angewiesenen Menschen am härtesten. Direkte Gespräche mit Mitarbei­ter*innen der Hilfestellen wären gerade jetzt ein wichtiger Faktor zur Unterstützung und Bewältigung der Notlage und kein Telefonat zwischen Tür und Angel ersetzt diese aktive Hilfeleistung. Zudem besitzen längst nicht alle Menschen ein eigenes Handy und vielen ist auch nicht bewusst, dass Ämtergänge eigentlich notwendig sind, um etwa öffentlich-rechtliche Zuweisung zu erhalten.

Derzeit erleben wir in der Stadt lange Warteschlangen vor Essensausgabestellen und einen enormen Anstieg von nach Geld fragenden Personen in den Bahnen. Denn die Innenstädte sind wie leer gefegt und Unterkünfte können keinen Schutz bieten. Das Hilfesystem, das ohne groß­artige Subventionen vom Staat um das Wohlergehen der Menschen kämpft, platzt fast aus allen Nähten.

Auf der anderen Seite sehen wir, wie in Supermärkten Menschen ganze Regale leer kaufen und sogenannte Promis ohne Rücksicht auf Verluste uns aus ihrer 150 Quadratmeter-Wohnung mit randgefüll­ten Vorratskammern heraus erklären wollen, dass wir Solidarität zeigen müssten. Politiker verfügen ohne Auf­wand direkt über die begehrten Tests und können sich nicht die Lage der Menschen versetzen, die nicht über eigene vier Wände verfügen.

Der Hamburger Senat muss endlich handeln. Allen betroffenen Menschen, ganz gleich ob Wohnungs- oder Obdachlosen, Illegalisierten oder Geflüchteten, müssen Räume an­geboten werden in denen Infektionsschutz und ausreichende Lebensmittelversorgung gewährleistet wird. Das wäre sofort und ganz legal möglich. Denn in Hamburg gibt es ein Wohnraumschutzgesetz. Es gibt den Bezirksämtern eine Handgabe gegen längerfristigen Leerstand von Immobilien, die länger als vier Monate ohne Genehmigung leerstehen. Die Behörden können einen Treuhänder einsetzen, der sich Zutritt zu leerstehenden Wohnungen verschafft, die Räume auf Kosten des Eigentümers renovieren lässt und eine Neuvermietung einleitet. Es müsste nur der politische Wille da sein, dieses Gesetz beherzt anzuwenden, sich mit den Spekulanten anzulegen und in ihr Privateigentum einzugreifen. Daher: Leerstand beschlagnahmen, Spekulanten enteignen!

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