Bericht von der Konferenz "1968 - Die letzte Schlacht gewinnen wir" in Berlin

German original of “1968 – We shall win the last battle” conference in Berlin (May 16, 2008)

Vom 2. bis 4. Mai fand in Berlin unter dem Titel "1968-Die letzte Schlacht gewinnen wir" ein riesiger Kongress statt. Insgesamt nahmen mehr als 1600 Besucher an den zahlreichen Veranstaltungen teil, die in den Räumlichkeiten der Humboldt- Universität abgehalten wurden. Organisiert wurde der Kongress von Linksjugend [’solid] und vom SDS, dem Studierenden- verband der Linkspartei, mit dem Ziel, die Ideen und die Geschichte der 68er Bewegung genau unter die Lupe zu nehmen und Schlüsse für die heutige Situation zu diskutieren. In fast 100 Diskussionsrunden und Seminaren wurden Themen wie der Vietnamkrieg, die Revolution in Frankreich im Mai ’68, Rudi Dutschke und die StudentInnenbewegung in Deutschland genauso behandelt wie aktuelle Fragen der Revolution in Venezuela oder der Irakkrieg.

1968 conference Die Perspektive der überwältigenden Mehrheit der TeilnehmerInnen war dabei ganz klar antikapitalistisch, und es herrschte Einigkeit darüber, dass das heutige Gesellschaftssystem für Arbeitslosigkeit, Hunger und Krieg verantwortlich ist. Auch die zentrale Rolle der Universitäten und Schulen für die ideologische Festigung dieser Gesellschaft war in allen Diskussionen allgegenwärtig.

In einem Punkt stehen die Studentinnen und Studenten heute in krassem Gegensatz zur 68er Bewegung in Deutschland: Damals glaubten viele revolutionäre Jugendliche, dass die ArbeiterInnen das Interesse an der Revolution verloren hätten und „verbürgerlicht“ wären. Bei diesem Kongress war davon nichts zu spüren. Angesichts der vielen Streiks in Deutschland in der letzten Zeit, in der der Klassenkampf auflebt, ist das kaum verwunderlich.

Der Funke war das ganze Wochenende mit einem Stand am Kongress vertreten und wir versorgten viele KongressteilnehmerInnen mit unserer Zeitschrift, mit Broschüren und marxistischen Klassikern. Wir hatten auch Zeit, um mit vielen Kongressbesuchern über unser marxistisches Programm zu diskutieren. Wir brachten vielen die Idee der Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle nahe und debattierten über die Zusammenführung aller sozialen Kämpfe, sowie über die Aufgabe der LINKEN. Wir erklärten anhand der Beispiele Telekom, BVG und Deutsche Bahn, dass nur durch Vergesellschaftung unter Kontrolle von Beschäftigten und Bevölkerung die Grundversorgung erhalten und ausgebaut werden kann. Marxistische Ideen und ihre konkrete Anwendung kamen auch deutlich zum Ausdruck in den Workshops der Genossen Pal Rana von der pakistanischen Sektion der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT), „The Struggle“, und Victor Taibo von der spanischen Schülergewerkschaft („Sindicato de Estudiantes“, SE) sowie in der Rede von Karin Schnetzinger, Bundessprecherin der Linksjugend [’solid], zum Abschluss des Kongresses (siehe unten).

1968 conference Victor berichtete von den Erfahrungen der SE seit ihrer Gründung 1986 und betonte die Notwendigkeit, Bewegungen an den Schulen und Unis mit Arbeitskämpfen in den Betrieben zu verbinden. Nur gemeinsam mit den ArbeiterInnen können große Veränderungen im Bildungsbereich erkämpft werden, wie etwa in Spanien 1987 das Streikrecht für SchülerInnen. Zum Beispiel solidarisiert sich die SE aktuell mit streikenden Busfahrern in Barcelona und am ersten Streiktag war eine Delegation der Schüler- und StudentInnengewerkschaft um vier Uhr morgens noch vor dem Betriebsrat im Busdepot, um eine Solidaritätserklärung zu überbringen und mit den Arbeitern zu diskutieren. Victor erklärte, dass die eigenen Forderungen und Ideen der SE, aufgrund der konsequenten Solidarität, in der Arbeiterbewegung sehr ernst genommen werden. Im April 2007, als ein großes Automobilzulieferwerk im Süden Spaniens geschlossen werden sollte, organisierten sie ein Treffen mit über 600 ArbeiterInnen und StudentInnen der Region unter der Parole der Verstaatlichung des Werks unter ArbeiterInnenkontrolle. 2003 führte die SE eine riesige Demonstration gegen den Irakkrieg an, mit über einer Million Teilnehmern in 70 Städten.

Im Workshop zu Pakistan erklärte Pal die pakistanische Geschichte seit der Teilung Indiens im Jahr 1947. Er ging besonders auf die Revolution von 1968 und die Regierung der PPP (Pakistanische Volkspartei) ein, die zwar wichtige Reformen durchführte, aber den Staatsapparat unangetastet ließ. Der damalige Führer der PPP, Zulfiqar Ali Bhutto, erkannte selbst, allerdings zu spät, dass es notwendig gewesen wäre, die Revolution zu Ende zu führen und den Kapitalismus endgültig zu stürzen. Paul erklärte, dass Pakistan heute vor einem ähnlichen Ausbruch wie 1968 stehe. Nach der Ermordung von Benazir Bhutto, auf der die Hoffnungen der pakistanischen Massen ruhten, geriet das ganze Land außer Kontrolle. Millionen Menschen demonstrierten spontan auf den Straßen. Momentan hat sich die Lage beruhigt, weil die Leute abwarten, was die neue Regierung bringt. Die sozialen Widersprüche verschärfen sich jedoch ständig weiter und die Lebensmittelpreise sind auf einem Rekordhoch angelangt. Dazu kommen der Krieg in Afghanistan und der Druck der USA auf Pakistan, gegen die Taliban vorzugehen. Am Schluss berichtete Pal von der Arbeit der pakistanischen IMT-Sektion „The Struggle“, die in drei wichtigen Regionen mit einem revolutionären Programm mit eigenen Kandidaten zu den jüngsten Parlamentswahlen antrat.


Rede von Karin Schnetzinger, Mitglied des BundessprecherInnenrates der Linksjugend [`solid] und Unterstützerin der marxistischen Strömung Der Funke

Liebe Kongressteilnehmerinnen und Kongressteilnehmer,

ich habe die Aufgabe zugesprochen bekommen, heute zusammen mit Jan diesen Kongress abzuschließen. Und ich will es in einem Wort zusammenfassen: dieser Kongress war großartig!

Drei Tage lang haben Menschen, jung und alt, in Workshops und Podien diskutiert und in den Veranstaltungen und drum herum tausende Gespräche geführt.
Dafür möchte ich mich schon mal bei allen bedanken, die dabei waren. Bei allen Teilnehmenden, den Rednerinnen und Rednern, bei allen, die an der Organisation des Kongresses beteiligt waren und nicht zuletzt besonders bei den unzähligen Helferinnen und Helfern, die so ein Kongress braucht.

Ich denke, dass wir mit Stolz sagen können: Wir haben unseren Beitrag im Kampf um die Deutung von 1968 gemacht.

Doch nun geht es darum, was wir mit nach Hause, in die Universität, in die Schule und in den Betrieb nehmen. Welche Lehren ziehen wir für die Zukunft?
Der große Marsch durch die Institutionen, begleitet von großen Hoffnungen auf einen wirklichen Politikwechsel, hat viele Kämpferinnen und Kämpfer von 1968 in die Sackgasse Bundestag und Bundesregierung gebracht. Wenige Monate später beteiligten sie sich an einem NATO-Angriffskrieg und setzten die Politik der Umverteilung von unten nach oben zielstrebig fort.

Andere 68er wollten nicht lange auf die Revolution warten und setzten nicht auf politische Überzeugungsarbeit, sondern auf individuellen Terrorismus, auf Entführungen und Attentate. Lasst mich euch eine traurige Erkenntnis mitteilen: Auf dem Weg zur Veränderung der Gesellschaft gibt es keine Abkürzungen.
Doch dann gibt es noch diejenigen 68er, die sich selbst und ihren Zielen treu geblieben sind. Etliche von ihnen sind hier. Die stärksten kämpfen ein Leben lang, sie sind unentbehrlich.

Und noch etwas können wir von 1968 lernen. Dass eine Bewegung der Studierenden und der Jugend allein die Gesellschaft beeinflussen, aber nicht verändern kann. Das passiert nur, wo die Kämpfe der Jugend mit denen der Werktätigen verbunden werden können. Das zeigen uns die Erfahrungen der beiden Länder, wo die Revolution am weitesten fortgeschritten war: Frankreich und Pakistan.

Eine große Stärke des Kongresses war, dass sehr aktuell diskutiert wurde. Wir haben uns nicht am Lagerfeuer versammelt und in Revolutionsromantik geschwelgt, sondern auch die aktuelle Situation diskutiert. Und ich denke, dass diese Diskussionen den Schluss zulassen, dass die letzte Schlacht noch nicht geschlagen ist, dass es immer noch eine revolutionäre Veränderung dieser Gesellschaft braucht.

Und so möchte ich kurz darauf eingehen, welche Punkte ich in der aktuellen Situation zentral finde: Oskar Lafontaine sprach kürzlich von der Wiederverstaatlichung von Post, Bahn und Telekom. Das finde ich richtig. Die Grundversorgung muss voll in öffentlichem Besitz sein und unter die Kontrolle der Beschäftigten kommen.

Das darf aber keine Parole bleiben! Das muss in die Tat umgesetzt werden. Und dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. Die gesamten Schaltzentralen der Wirtschaft müssen vergesellschaftet und unter die demokratische Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden.

Das ist der Ausgangspunkt des Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
Und noch eins, in dieser Woche standen in Berlin so einige Räder still. Denn die Beschäftigten der BVG mussten sich die Einigung, die erzielt wurde, hart erkämpfen. Und das, obwohl in Berlin DIE LINKE in der Regierung sitzt und den Streik eigentlich unterstützen sollte.

Das bringt mich zu einem enorm wichtigen Punkt: DIE LINKE ist Bezugspunkt für viele, die sich heute einen wirklichen Politikwechsel erhoffen. Einige, mit denen ich aber auf diesem Kongress diskutiert habe, sagen mit Blick auf Berlin: Wer eine revolutionäre Politik machen will, kann das nicht mit der Partei DIE LINKE machen. Aber ich sage euch: die einzige Kraft, die sich an die Spitze all dieser Kämpfe der Werktätigen und der Jugend stellen und diese zusammenführen kann, ist DIE LINKE. Es ist sogar ihre Verantwortung, genau das zu tun. Und es wird unsere Verantwortung sein, dafür zu sorgen, dass sie es tut!

Eins ist uns seit 1968 geblieben: Die Diskussion darum, wie wir diese Welt tatsächlich verändern können. Dabei sind wir auch nicht alle einer Meinung. Und dieser Kongress konnte einige Fragen beantworten, aber noch viele mehr aufwerfen. Der Kongress war ein Angebot zur Diskussion, dem ihr so zahlreich gefolgt seid.

Und dieses Angebot besteht auch weiterhin, im Jugendverband Linksjugend ['solid] und im Studierendenverband Die Linke.SDS. Denn es ist unsere Aufgabe, die revolutionären Ideen in die Tat umzusetzen!

Das bringt mich zum Schluss zu der Frage, die Gisela Notz in ihrer Eröffnungsrede mit Blick auf das Transparent über mir gestellt hat: Wer sind wir überhaupt?
Ich beantworte euch diese Frage gerne: Wir, dass seid Ihr, die ihr hier sitzt. Ihr, die ich euch als Konsequenz dieses Kongresses auffordere, aktiv zu werden im Jugendverband Linksjugend ['solid] und im Studierendenverband Die Linke.SDS Denn es ist an der Jugend, mit revolutionären Ideen die Linke stark zu machen.

Vielen Dank.

Source: Der Funke